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Im Rhythmus der Psalmen: wenn schon hassen, dann richtig

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Dies ist die dritte Folge von Gedanken aus meinem Psalmenworkshop beim Emergent Forum 2013. | Teil 1 | Teil 2 |

Bhs_psalm1Jede Beschäftigung mit den Psalmen stößt eher früher als später auf die Strafwünsche gegen übermächtige Feinde. An einigen Stellen, den sogenannten “Rachepsalmen” (z.B. Psalm 58) wird das sehr intensiv ausgemalt. Aber auch in vielen anderen Psalmen taucht die Bedrohung durch böswillige und gottlose Feinde auf – mit dem entsprechenden Appell an Gott, er möge diese Gegner scheitern lassen und sie darüber hinaus mindestens das erleiden lassen, was sie dem Bedrohten anzutun planten bzw. antaten.

Mit diesen Psalmen tun wir uns in der Moderne traditioneller Weise schwer. Wie passen diese Erwartungen an Gott mit dem Bild eines “lieben”, vergebenden, sanften, gewaltfreien usw. Gottes zusammen, den wir unseren Mitmenschen nahebringen wollen? Und – schwierigere Frage – wie passen sie mit der Feindesliebe zusammen, die Jesus beschrieb und lebte?

Leider habe ich erst nach dem Workshop einen Post auf dem Mosaik-Blog entdeckt, wo es um genau diese Frage geht. Ein paar Zitate daraus:

Der Text ist für Menschen, die unterdrückt werden. Der Text ist für die Menschen, deren Lage uns ein mulmiges Gefühl vermittelt.

und weiter:

Wie geht man mit Bibelstellen um, die Hoffnung auf Genugtuung, Vergeltung, Wut und Rache an Stelle derer ausdrücken, deren Stimmen nicht einmal bis zu uns heranreichen?  Diese Stellen werden
ignoriert
angezweifelt
verbildlicht
vergeistlicht
verniedlicht
für ungültig erklärt
stumm geschaltet.
Diese Stellen haben keinen Platz in der Anbetungszeit am Sonntag. Man druckt sie auch nicht auf Kalender oder postet sie mit einem kitschigen Bild auf Facebook. Diese Verse finden nicht statt.

Wie die Menschen, von denen sie handeln. Wir sollten lieber den Sicherheitsabstand einhalten. Unterdrückung, Ausbeutung, Ungerechtigkeit, Gewalt – das hat mit uns nicht zu tun. Warum sollten wir uns damit abgeben?

und schließlich:

Wir brauchen diese Texte ebenfalls. Unbedingt. Und das nächste Mal, wenn ein Text mir vorkommt, als beschreibe er eine andere dunkle Welt, dann möchte ich mich fragen  Was muss ein Mensch erlebt haben, um so etwas zu schreiben?

Das ist also die erste Antwort – eher eine Rückfrage: in solchen Psalmen kommt eine Wirklichkeit zur Sprache, die uns in der Regel sehr fremd ist. Und vielleicht zeigt sich in der Abwehr der Vergeltungsgedanken weniger, dass uns die Feindesliebe Jesu schon in Fleisch und Blut übergegangen ist.  Könnte es nicht eher sein, dass es die Realität der Unterdrückung und des brutalen Unrechts ist (ich spare mir drastische Blitzlichter – im Prinzip weiß jeder, worum es geht), die Menschen aus dem modernen,  zivilisierten Westen erschreckt, wenn sie sich in den Psalmen sehr deutlich ausspricht?

Und würde es nicht auch im bürgerlich-zivilisierten Westen zur Klarheit beitragen, wenn heftige Konflikte auch wahrgenommen würden, anstatt unter den Teppich eines “Wir wollen ja alle das Beste, nur auf unterschiedlichen Wegen”-Feelings gekehrt zu werden?

Hinzufügen will ich noch zwei andere Gedanken:

zum einen ist ja gerade charakteristisch, dass die Rache bzw. Strafe in den Psalmen Gott überlassen wird. Das bedeutet aber auch, dass Menschen damit überfordert sind und die Finger davon lassen sollten. Natürlich kann man sich auch unter diesem Vorzeichen immer noch als “Werkzeug” des vergeltenden Gottes verstehen – aber das liegt außerhalb der legitimen Interpretationsspannweite der Psalmen.

Zum anderen können hier die Gedanken aus meinem vorigen Post zu den Psalmen zum Tragen kommen: im Psalter stehen unterschiedliche Wahrheiten nebeneinander, ohne sich gegenseitig aufzuheben und ohne, dass eine Art arithmetisches Mittel gebildet wird. Das arithmetische Mittel aus Hass und Feindesliebe wäre Nettigkeit: Abneigung, die die Formen wahrt. Ist es wirklich das, was Jesus mit Feindesliebe meinte?

Ich glaube eher, dass beides im vollen Maße wahr ist: ja, es gibt massives Unrecht, rücksichtslosen Missbrauch, schamlose Lüge. Und es ist natürlich, menschlich, angemessen, darauf so zu reagieren, dass man sagt: “Gott, mach ihn platt. Tu ihm an, was er mir tun wollte. Lass sie in der Hölle schmoren.” Gut, wenn du und ich das noch nicht in dem Maß erleben mussten, aber es ist Realität. Es muss ausgesprochen werden dürfen. Und wer sich da überhaupt nicht reindenken kann, der weiß sehr wenig über die Realität der Welt. Es gibt den Schrei nach Vergeltung, der alle Argumente auf seiner Seite hat, und die Psalmen geben ihm Raum und Worte.

Erst wenn das klar ist, kann man im vollen Sinn von Feindesliebe sprechen. Nicht in dem Sinn, dass man sie aus sicherem Abstand den Opfern nahelegt, damit ihre Erfahrung weniger (ver)störend wirkt. Sondern im Wissen, dass Hass auch den auffrisst und zerstört, der ihn aus gutem Grund empfindet. Im Wissen, dass durch Rache die Täter sich auch noch in den Opfern fortpflanzen. Als Bereitschaft, Gott das Problem der vergeltenden Gerechtigkeit zu überlassen, weil es für Menschen mindestens eine Nummer zu groß ist.

Erst beides zusammen ergibt das volle Bild. Die Psalmen üben mit uns, die ganze Realität zu sehen: ungeschönt und ungezähmt, und trotzdem (gerade so!) voller Hoffnung und Hilfe.


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